Der Alte Jüdische Friedhof: Rückzugsort und Zeuge der Geschichte in Berlin-Mitte
Vogelgezwitscher, efeuumrankte alte Bäume — hier vergisst man, dass man mitten in der Hauptstadt ist. Nur einen Steinwurf vom Trubel des Hackeschen Marktes entfernt liegt zwischen den Hackeschen Höfen und der Großen Hamburger Straße der Alte Jüdische Friedhof. Ein Ort zum Durchatmen, aber auch ein Ort, der an die Geschichte religiöser Vielfalt in Berlin erinnert – aber auch an den Krieg und den Rassenhass der Nazis.
Der Beginn jüdischen Lebens in der Spandauer Vorstadt
Die Spandauer Vorstadt war im 18. und 19. Jahrhundert das Zentrum jüdischen Lebens in Berlin. Am augenfälligsten dokumentierte das die zwischen 1859 und 1866 errichtete, prachtvolle „Neue Synagoge“ an der Oranienburger Straße.
Angefangen hatte alles mit einem jüdischen Friedhof. Er entstand im 17. Jahrhundert, als das Gebiet um die Oranienburger Straße noch unbebaut vor den Toren der Stadt lag. Hier erwarb Model Riess ein Grundstück und stellte es seiner Gemeinde als Begräbnisplatz zur Verfügung. Die jüdische Gemeinde in Berlin war gerade erst wieder neu entstanden, nachdem der brandenburgische Kurfürst 50 aus Wien vertriebenen jüdischen Familien die Ansiedlung erlaubt hatte. Rund 100 Jahre zuvor waren alle Juden aus Berlin vertrieben worden.
Vom Friedhof zum Park
Ab 1672 diente der Friedhof schätzungsweise um die 10.000 jüdischen Berlinern als letzte Ruhestätte. Moses Mendelssohn, Philosoph der Aufklärung und Freund Lessings, ist die bekannteste Persönlichkeit, die hier begraben wurde. Da in Preußen innerhalb von bewohntem Gebiet keine Bestattungen stattfinden durften, eröffnete die jüdische Gemeinde 1817 einen neuen Friedhof weiter außerhalb, an der Schönhauser Allee. Im Jahr 1827 fand auf dem alten Friedhof die letzte Beerdigung statt.
Kurz darauf wurde an der Großen Hamburger Straße ein jüdisches Altersheim errichtet, dem der Friedhof als Park diente. Die im Jahr 1863 eröffnete jüdische Knabenschule nutzte die Grünanlage für den Naturkundeunterricht und legte dort einen Schulgarten an.
Die Zerstörung des Friedhofs
Das Gebäude des Altersheims an der großen Hamburger Straße wurde 1942 von der „Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) beschlagnahmt und als „Sammellager” genutzt: 55.000 jüdische Bürger wurden hier vorübergehend eingepfercht, bevor sie in die Konzentrationslager abtransportiert wurden.
Im Jahr 1943 zerstörte die Gestapo fast alle Grabsteine des Friedhofs, riss die Gebeine der Toten heraus und planierte das Gelände. In den letzten Tagen des Krieges 1945 wurden hier über zweitausend Tote in Massengräbern beigesetzt.
Gedenken und Instandsetzung
Nach dem Krieg wurde das Gelände wieder der jüdischen Gemeinde übergeben, die mit einer Gedenktafel an den Friedhof und seine Zerstörung erinnerte. 1985 wurde an der Stelle des zerstörten Altenheimes an der Großen Hamburger Straße eine Skulptur des Bildhauers Will Lammert zu Ehren der jüdischen Opfer des Faschismus aufgestellt.
In den Jahren 2007 und 2008 wurden der Friedhof und die Gedenkstätte instandgesetzt. Die Grundmauern des jüdischen Altersheims wurden sichtbar gemacht, die wenigen erhaltenen Grabsteine restauriert und wieder aufgestellt. Sie waren in die Friedhofsmauer eingefügt und daher der Zerstörung durch die Nazis entgangen. Unter den erhaltenen Grabsteinen befindet sich die des Friedhofsgründers Model Riess und des ersten Mannes, der hier bestattet wurde.
Der Friedhofspark heute
Der südliche Teil des ehemaligen Friedhofs ist tagsüber von der Großen Hamburger Straße aus zugänglich und wird am Nachmittag abgeschlossen. Die Gedenkstätte ist jederzeit zugänglich, sie befindet sich vor der Friedhofsmauer.
Mit ihren efeuumrankten alten Bäumen macht die Parkanlage einen verwunschenen Eindruck, nur wenige Besucher verirren sich hierher. Das einzige freistehende Grabmal ist das von Moses Mendelssohn, es ist jedoch nicht mehr der originale Stein.
Zwei erhaltene Gedenksteine wurden am Eingang des Geländes aufgestellt, weitere finden sich an der südlichen Friedhofsmauer. Die alten Bäume des Friedhofs können auch von den Höfen 3 und 5 der Hackeschen Höfe aus bewundert werden.
Der Friedhof ist täglich mit Ausnahme von Schabbat und jüdischen Feiertagen geöffnet.
1. April bis 30. September
werktags 7.30 – 17 Uhr
sonntags von 8.00 – 17 Uhr
1. Oktober bis 31. März
werktags 7.30 – 16 Uhr
sonntags von 8.00 – 16 Uhr